Wanderer
Eintauchen in die Romantik Caspar David Friedrichs
Auf dieser Seite findet man das Video, die Audiodateien sowie das Programm der Veranstaltung aus Greifwald (20-21.12.2024 STRAZE). Das Projekt wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und das Amt für Bildung, Kultur und Sport der Universitäts- und Hansestadt Greifswald im Rahmen des Casper-David-Friedrich-Jubiläum.
Mitwirkende
Richard Coldman
Konzept und Dramaturgie
Choreographie und Tanz (Lord Byron)
Choreographie und Tanz (Freiheitsideal & Aurora)
Klavier und Darsteller (Franz Liszt)
Klavier und Darsteller (Maria Szymanowska)
Videoprojektionen
Vorwort
Das Tanzstück mit Klaviermusik und Projektionen der Malerei von Caspar David Friedrich, gehört zu den Veranstaltungen für das 250-jährige Jubiläum zur Geburt des Malers in Greifswald. Es ist als Tribut an zwei Romantiker gedacht, die im Jahr 2024 ihr Jubiläum feiern: auch der englische Dichter Lord George Byron kam vor 200 Jahren während der Befreiungskriege in Griechenland ums Leben. Was hat aber Caspar David Friedrich mit den Befreiungskriegen zu tun? Im „Frühling der Nationen“ strebten damals Völker nach Freiheit von Imperien, und viele Künstler schlossen sich dieser Bewegung an. Auf dem Weg ins Exil aus dem unter russischer Herrschaft stehenden Polen machte auch der polnische Dichter Juliusz Słowacki in Dresden Station. Die sächsische Hauptstadt war damals nicht nur eine bedeutende Kulturmetropole sondern auch ein Zentrum europäischer Patrioten. Słowacki setzte seine Reise dann über Paris und Genf nach Italien fort und kam schließlich nach Palästina, es war also quasi eine „Pilgerschaft“. (Lies weiter...)
Die Bilder
ERSTES BILD
Felsenriff am Meeresstrand (1824)
Fryderyk Chopin (1810-1849)
Scherzo Nr. 1 in b-moll Op. 20 (1831)
AUFRUHR
Es ist 1820 und der “Frühling der Nationen”. Ob in Polen, Italien, Griechenland oder Deutschland: überall bahnen sich Revolutionen an. In diesen Zeiten leben die Romantiker, mit ihrer Unschuld, Leidenschaft und Freiheitsdrang. Der Musiker druckte seine Sehnsucht auf dem Klavier aus. Der Dichter lebt sein Leben zwischen Momenten der Liebe und Dramatik.
ZWEITES BILD
Claude Debussy (1862-1918)
"Feuilles mortes" Prelude Nr.2 (1912)
DER POET
Dieses Leben erfüllt ihn nicht. Verloren und ohne Hoffnung erlebt der Dichter seine Melancholie in der Einsamkeit. Seine düstere Stimmung repräsentiert der graue Nebel über den winterlichen Meer.
DRITTES BILD
Tetschener Altar (Das Kreuz im Gebirge) (1807)
improvisation zu einem Thema von Olivier Messiaen (1944)
DAS KREUZ
Stimmen aus vergangenen Zeiten, wie die des Mystikers Jakob Böhme erklingen während der Wanderung durch Zeit und Raum. Der Künstler betet leidenschaftlich um das Erscheinen eines Engels, der ihn aus der Dunkelheit führen soll. Das Kreuz, die Natur und das Leben Christi erhellen langsam den Blick des jungen Künstlers.
VIERTES BILD
Morgen im Riesengebirge (1810)
Franz Liszt (1811-1886)
"Sposalizio" aus "Années de pèlerinage" S.161, Nr. 1 (das zweite Jahr: Italien) (1837)
DAS IDEAL
Das Ideal erscheint als archaische Frauengestalt auf der Bühne, als habe sie das Gebet des Dichters erhört. Es ist das Ideal der FREIHEIT. Eine Musikerin begleitet ihren Tanz mit gefühlvoller Musik. Die Freiheit zeigt sich in ihrer Schönheit, inspiriert die Künstler zu neuer Kreativität und zeigt einen Ausweg aus Leid und Leere. Sie führt sie auf einen Gipfel, von dessen Ausblick herab die Welt schöner, wahrer und klarer erscheint.
FÜNFTES BILD
Der Wanderer über dem Nebelmeer (1818)
Franz Liszt (1811-1886)
“Vallee d´Obermann” aus "Années de pèlerinage" (das erste Jahr: Schweiz) S.160, Nr.6 (1848)
KUNST
Der Musiker (Franz Liszt) kehrt mit neuer Inspiration auf sein Instrument zurück, bereit, von seiner Reise und seinen Ideen zu erzählen. So entsteht für Franz Liszt der Zyklus „Pilgerjahre“. Aber auch der Dichter Lord Byron schuf mit „Childe Harolds Pilgerfahrt“ ein poetisches Meisterwerk, das ihm großen Erfolg bescheren sollte. Caspar David Friedrich schafft sein berühmtestes Bild „Der Wanderer über dem Nebelmeer“: Eine dreifache Erfolgsgeschichte.
SECHSTES BILD
Maurice Ravel (1875-1937)
"Une barque sur l´océan" aus "Miroirs" M.43, Nr. 3 (1905)
DIE FREUNDE
Der Dichter und der Musiker erleben friedliche und erfüllte Momente der Freundschaft. Ihre Gespräche über die Welt und die politische Lage wecken in ihnen den Wunsch, nicht nur ihre Kunst, sondern auch ihre Tatkraft zur Schaffung einer besseren Welt einzusetzen. Lord Byron beschließt an der Revolution teilzunehmen und bricht nach Mesolonghi auf, um sich den griechischen Widerstandskämpfern anzuschliessen.
SIEBTES BILD
Alexander Scriabin (1872-1915)
"Vers la flamme”, Poème Op. 72 (1914)
REVOLUTION
Im Gegensatz zum Dichter, bleibt der Musiker zurück. Er zieht es vor, das menschliche Drama über seiner Musik zu schildern. Für den Dichter war das nicht genug. Die sonnige Seelandschaft verwandelt sich peu à peu in eine düstere Nacht. Selbst der Mond versteckt sich hinter Wolken und der Dichter bricht auf in den Krieg. Im musikalischen Gedicht “Zur Flamme” erzählt Alexander Skriabin von der Anziehungskraft des Feuers, wo der revolutionäre Poet im Krieg und der Revolution sein ganzes Wesen verbrennen wird. Die Freundin des Dichters, der wir schon im ersten Bild begegnet sind, liest seine Poesie während er in fernen Ländern kämpft. Es könnte sich um die Freundin und Schwester Lord Byrons, Augusta Leigh, handeln. Sie wird ihren Bruder nie wieder sehen.
ACHTES BILD
Kügelgens Grab (1821)
Franz Liszt
“Ave verum corpus” von W.A.Mozart - Transkription
Fryderyk Chopin
Nocturne Cis-minor Op. 27. Nr.1 (1836)
AM FRIEDHOF
Der Dichter ist jetzt tot. Die drei Zurückgebliebenen betrauern den Verlust des Künstlers, der sein Leben dem Gedanken der Revolution opferte. Sein Freund, der Musiker, spielt Choräle und melancholische Klänge auf dem Klavier. Aurora und ihre Freundin tanzen trauernd um den Toten. Ihre Gedanken erwecken den Geist des Dichters, der nie wirklich starb, weil er in den Erinnerungen seiner Freunde und Bewunderer weiterlebt.
NEUNTES BILD
Gartenterrasse (1812)
Frau in der Morgensonne (1818)
Franz Liszt
“Sonetto 123 del Petrarca” aus “Années de pèlegrinage” (das zweite Jahr: Italien) (1839)
AURORA
Aurora, die liebevolle Freundin des Dichters, bewahrt das Erbe und die Erinnerung an den großen Künstler in ihrer Seele und möchte mit dem Aufgang der Sonne eines neuen Tages alle seine Sehnsüchte verwirklichen. Eine schönere, friedlichere Welt ist möglich! Begleitet wird sie dabei vom Freund, dem Geist des Künstlers selbst und der Musikerin. Im “Sonett 123” besingt Petrarca eine Engelsfrau, deren Klage um die Welt so schön erklingt, dass der Himmel und die Welt sich mit Harmonie erfüllen.
Media
Förderer
Vorwort
Das Tanzstück mit Klaviermusik und Projektionen der Malerei von Caspar David Friedrich, gehört zu den Veranstaltungen für das 250-jährige Jubiläum zur Geburt des Malers in Greifswald. Es ist als Tribut an zwei Romantiker gedacht, die im Jahr 2024 ihr Jubiläum feiern: auch der englische Dichter Lord George Byron kam vor 200 Jahren während der Befreiungskriege in Griechenland ums Leben. Was hat aber Caspar David Friedrich mit den Befreiungskriegen zu tun? Im „Frühling der Nationen“ strebten damals Völker nach Freiheit von Imperien, und viele Künstler schlossen sich dieser Bewegung an. Auf dem Weg ins Exil aus dem unter russischer Herrschaft stehenden Polen machte auch der polnische Dichter Juliusz Słowacki in Dresden Station. Die sächsische Hauptstadt war damals nicht nur eine bedeutende Kulturmetropole sondern auch ein Zentrum europäischer Patrioten. Słowacki setzte seine Reise dann über Paris und Genf nach Italien fort und kam schließlich nach Palästina, es war also quasi eine „Pilgerschaft“.
Auch der Pole Fryderyk Chopin und der Ungar Franz Liszt wirkten zu dieser Zeit in Dresden. In einer Sammlung von Klavierwerken mit dem Titel „Pilgerjahre“ (Années de pélerinage) erzählt Liszt von seinen Reisen. Das erste Stück trägt den Titel „Die Kapelle von Wilhelm Tell“, denn der legendäre Schweizer Freiheitskämpfer diente dieser Bewegung zur Inspiration. Das Stück könnte die musikalische Untermalung des Gemäldes „Huttens Grab“ sein, denn Hutten war auch eine Idealfigur für die Freiheitskämpfer des deutschen Vormärz. Ich erkannte in vielen Stücken von „Années de pélerinage“ eine mögliche musikalische Untermalung der Gemälde Caspar David Friedrichs. Der Greifswalder Maler hat in einem Brief die Ansicht geäussert, dass seine Bilder am besten mit Musikbegleitung zur Geltung kämen. Friedrich war kein Freiheitskämpfer, aber seine Seele sympathisierte mit dieser Bewegung. Zu seinem Freundeskreis in Dresden gehörten Patrioten wie Theodor Körner und Heinrich von Kleist. Er plante auch eine Reise in die Schweiz, entschloss sich aber schließlich zu einer Wanderung ins Riesengebirge, und malte zwar nicht „Wilhelm Tells Kapelle“, aber „Das Grab des Arminius“, „Gräber gefallener Freiheitskämpfer“ oder eben „Huttens Grab“.
1824, vor genau 200 Jahren, starb in Griechenland ein weiterer bedeutender Lyriker, Wanderer und Freiheitskämpfer. Lord Byron beschloss kurz nach der gescheiterten Revolution der Carbonari in Italien, sich dem griechischen Widerstand gegen das Osmanische Reich anzuschließen. In einer ähnlich tiefen Melancholie und Enttäuschung von der Natur der Menschen wie der Caspar David Friedrichs, starb er im April dieses Jahres bei der Lagune von Messolonghi. Als Leiterin eines Kulturvereins, der europäisches Kulturerbe, insbesondere Musik und Poesie, als Schwerpunkt setzt, war es mir ein Anliegen, den englischen Dichter von „Childe Harold’s Pilgrimage“ in diesem Jahr zu ehren. Seine Bedeutung für die Befreiung Griechenlands sollte nicht unterschätzt werden. Auch wenn er nicht direkt an den Kämpfen beteiligt war, markierte sein Tod in Messolonghi einen Wendepunkt für die Befreiung des Balkans von der Osmanischen Herrschaft. Doch als ich vom Caspar David Friedrich-Jubiläum erfuhr, und etwas über die Persönlichkeit des Greifswalders, seinen Patriotismus und seine unangepasste Persönlichkeit, verstand ich, dass es zwischen den beiden Zeitgenossen neben den Unterschieden im Temperament auch Parallelen gab.
Zu dieser Zeit besuchte ich sowohl Messolonghi am Mittelmeer als auch Greifswald an der Ostsee und staunte über eine quasi metaphysische Ähnlichkeit zwischen diesen beiden Orten im Süden und Norden Europas. Der „Garten der Helden“ in Messolonghi mit den Grabsteinen gefallener Kämpfer, die zur Unterstützung der Griechen aus allen Teilen der Welt angereist waren, erinnert an das Bild „Kügelgens Grab“. Aber auch wenn man vom Hügel mit den Ruinen der antiken Stadt Pleurona (die so ähnlich klingt wie Eldena) über die Lagune schaut, ist es, als habe man Friedrichs Bild „Abendlandschaft mit zwei Männern“ vor Augen.
Ich, selbst in Polen geborene und nach langen Reisen durch Europa nun in Sachsen lebende Griechin, war fasziniert von den Ähnlichkeiten zwischen den Schicksalen dieser Künstler und deren Reisen. Unser Kontinent von Osten bis Westen, von Norden bis Süden ist wie ein einziges „Heiligtum“ mit seiner gemeinsamen Geschichte, dem Kulturerbe und seinen Werten: eine Pilgerreise durch dieses „Heiligtum“ gab den Wanderern damals die Inspiration, um ihre schwierige Umbruchszeit besser bewältigen zu können. Mit der Gelegenheit des Caspar David Friedrich-Jubiläums möchte ich versuchen, diese Geschichten in einem Kunstwerk zu verflechten und in Greifswald vorzustellen. Als Sprache wählte ich drei Künste, die keiner Übersetzung bedürfen: den Tanz, die Musik und die Malerei. Als Musik kamen Klavierstücke der Romantiker Franz Liszt und Fryderyk Chopin in Frage, aber auch Neoromantiker wie Claude Debussy und Alexander Skriabin, die meiner Empfindung nach am besten zu den Gemälden des Malers passen. Für den Tanz entwarf ich eine Dramaturgie, inspiriert vom Leben Byrons. Byron ist der „Wanderer über dem Nebelmeer“, während er die Alpen besteigt oder „Der Mönch am Meer“, als er auf der venezianischen Lagune über das Schicksal der Welt nachdenkt. Mit Hilfe digitaler Technik wurden die Personen aus den Bildern herausgeschnitten, die dann als lebendige Menschen zur Musik vor der Kulisse der Bilder tanzen.
Byrons Rolle übernahm der armenisch-griechische Tänzer Edgar Ioannis Avetikyan. Edgar kam schon als Kind mit seiner armenischen Familie nach Griechenland, wo er damals davon träumte, Tänzer zu werden. Das Leben war für ihn nicht einfach; sein Traum erfüllte sich schliesslich in Sachsen: als Tänzer im Ensemble des Gerhart Hauptmann Theaters.
Der zweite „Wanderer“ in diesem Stück, der junge litauische Pianist Simonas Poška, gewann als Wunderkind seine ersten Preise mit Musik der Romantik von Robert Schumann und Franz Liszt. Heute studiert er an der Universität in Hannover und reist wie Liszt durch Europa, gibt Konzerte in Paris, Budapest, Italien und Polen… Nun führt ihn sein Weg ebenfalls nach Greifswald.
Aber auch die Frauen spielen in diesem Tanzstück ihre besondere Rolle: sie waren Wanderer, Künstler und auch Musen.
Die Romantik war eine Zeit starker freiheitsliebender Künstlerinnen. Ich vereinte das Freiheitsideal und die Freundin des Dichters in eine Person und nannte sie „Aurora“- die Morgenröthe. Dazu angeregt hat mich ein Werk Jakob Böhmes. Der Görlitzer Mystiker, der viele Romantiker inspirierte, feiert im Jahr 2024 ebenfalls ein Jubiläum: 400 Jahre sind seit seinem Tod in Görlitz vergangen. Die Rolle der Aurora wird von der italienischen Tänzerin des Gerhart Hauptmann Theaters, Sara Nicastro, getanzt. Zu den vier „Wanderern“ gehört noch die griechische Musikerin Christina Maria Koti. Sie spielt eine Pianistin der Romantik, etwa wie Clara Schumann oder Maria Szymanowska. Christina zog ebenfalls durch Europa; von der griechischen Insel Rhodos brachte sie die Musik nach London und Paris.
Nun treffen wir uns als moderne „Wanderer“ hier in Greifswald und zeigen unsere Kunst dem Publikum. In leicht veränderter Form ist das Ballett bereits in August 2024 im sächsischen Bautzen im Rahmen des Sechstädtebundfestivals „Kommen und Gehen“ erfolgreich aufgeführt worden, mit Unterstützung der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen.
Mit ein paar neuen Stücken feiert es auf der Bühne der STRAZE in Greifswald seine Premiere.
Das Projekt wird gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien und dem Amt für Bildung,
Kultur und Sport der Universitäts- und Hansestadt Greifswald im Rahmen des Casper-David-Friedrich-Jubiläums.
Eleni Ioannidou
Dezember 2024